Die Marienkirche in Duisburg

Die Marienkirche

Bemerkungen zur Baugeschichte der Marienkirche in Duisburg

von Günter Krause, Duisburg

Die Marienkirche liegt am Südrand der ehemals von einem Mauerring umgebenen Duisburger Altstadt (Abb. 1). Die Kirche und das frühere Gemeindezentrum befinden sich auf einer von Mauerzügen eingefassten Sandkuppe. Sie wird von der Marientorstraße, der Joseph-Kiefer-Straße und der Steinschen Gasse eingerahmt (Abb. 2 und 3).

Dass die Marienkirche eine weit ins Mittelalter zurückreichende Geschichte hat, ist bekannt. Aus einer Weiheurkunde geht hervor, dass der Münsteraner Bischof Friedrich von Are (1152–1168) in Vertretung des Kölner Erzbischofs Arnold von Wied (1151–1156) die Johanniterhospitalkirche St. Marien und St. Johann Baptist in Duisburg geweiht hat.1

Sie gehörte zur ersten Niederlassung des zum Ende des 11. Jahrhunderts in Jerusalem gegründeten Johanniterordens auf deutschem Boden.2 Dieser Orden widmete sich ganz besonders der Pilgerbetreuung und Krankenpflege. Einen Eindruck vom Aussehen der Kirche und der Kommende im 16. Jahrhundert vermittelt der Stadtplan von 1566 (Abb. 4 und 5).

Danach waren die Kommendengebäude mehrstöckig und bildeten einen ummauerten, von der Kirche und deren Friedhof klar abgegrenzten Bereich (Abb. 2 und 5).

1187 teilte der Erzbischof von Köln Philipp von Heinsberg mit Genehmigung des Papstes die Duisburger Pfarrei und wies einen Teil der Marienkirche zu, die außerhalb der Mauern lag.3 1789 wurde die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen, 1797 folgten der Verkauf zum Abbruch durch die Stadt und der Abbruch des gotischen Chors und der romanischen Türme.

Die darauf aufmerksam gewordene königlich-preußische Regierung in Kleve verlangte 1798 für ihre notwendige Zustimmung eine Zeichnung des Aussehens der Türme und des Chors und erinnerte 1800 erneut an die Erledigung dieser Verfügung, der wahrscheinlich nicht nachgekommen wurde.4

Bis 1802 wurde die Kirche umgebaut und erneuert. Dabei wurde sie umorientiert, so dass der Eingang heute im Osten und der Altar im Westen liegen.

Der Marienkirchenhügel wurde vor allem auf der Südseite durch Neubebauungen im 19. Jahrhundert und einen Weltkriegsbunker stark verändert.

Der Westabhang des Hügels wurde 1846 bei Verlegung des Gleisanschlusses zum Innenhafen bis auf die Westfassade der Kirche abgetragen. Südlich und westlich der Kirche wurden 1969/70 ein modernes Pfarrhaus und ein Gemeindezentrum angefügt (Abb. 3). Sie hatten Vorgänger von 1852 und 1896. 

Dem Gemeindezentrum fielen bedeutende Teile der Umwehrung aus dem 12. Jahrhundert zum Opfer (Abb. 6), die mit der östlich im Verbund anschließenden Stadtmauer den Zweiten Weltkrieg überstanden hatten (Abb. 2–5). Vergleichsweise ungestört blieb lediglich der nördlich anschließende Teil des ehemaligen Friedhofs, der 1833 geschlossen wurde (Abb. 2 und 5).

Lage der Marienkirche in Duisburg
1 Heutiger Plan der Duisburger Innenstadt. Der Innenhafen davor liegt im Bett des mittelalterlichen Rheins. Der Umriss des Marienkirchenbezirks ist rot markiert. Siehe auch Abb. 2.
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2 Die Marienkirche in Duisburg, Situationsplan. Montage von Urkataster 1823/25 (rot) und Deutscher Grundkarte Duisburg 1979/81 (schwarz). Der Umriss der Stadtmauer, zu der auch die äußere Umwehrung der Johanniterkommende gehört, ist auf dem Urkataster deutlich zu erkennen, ebenso die Abgrenzung der Marienkirche mit ihrem Friedhof zur Stadt hin und zum Kommendenbezirk. Siehe hierzu auch Abb. 4 und 5

Die Aufmerksamkeit des Verfassers, der seit 1971 in Duisburg als prähistorischer Archäologe tätig war, wurde erstmals durch die Feierlichkeiten zum 175jährigen Jubiläum der heutigen Marienkirche 1977 auf diese Kirche und ihre Geschichte gelenkt.5 Der Duisburger Stadtarchivar und Mittelalterhistoriker Joseph Milz hatte anlässlich des Jubiläums den damaligen Forschungsstand zur Baugeschichte der Marienkirche in einem Vortrag bekanntgemacht und diesen 1979 zusammenfassend veröffentlicht.6

Es war die Zeit, als Joseph Milz und der Verfasser begonnen hatten, die unveröffentlichten Unterlagen der Untersuchungen Fritz Tischlers zur Duisburger Stadtbefestigung aus den 1940er bis 1960er Jahren auszuwerten. Daraus entwickelte sich eine langjährige Zusammenarbeit. 

Für den Archäologen ergab sich daraus die Möglichkeit, Schlussfolgerungen des Mittelalterhistorikers Milz, die sich aus den historischen Quellen ergaben, durch Ausgrabungen zu überprüfen und so auch zu neuen Ergebnissen zu gelangen. 

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3 Duisburg, Marienkirche. Blick von Osten. Links im Vordergrund der letzte Rest der Umwehrung aus dem 12. Jahrhundert, die nur noch die Höhe einer Gartenmauer hat. Deren noch vorhandene Teile wurden vor dem Bau des Gemeindezentrums größtenteils beseitigt (siehe Abb. 6 und 8:Stadtmauer). Sie band in die Stadtmauer ein.
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4 Stadtplan des Johannes Corputius aus dem Jahre 1566. Die Johanniterkommende befindet sich am rechten Bildrand.

Milz hat in seinem Aufsatz von 1979 die spärlichen ausgewertet.7 Über die Gründung der Duisburger Johanniterkommende und die Beweggründe und Mittel dafür schweigt die erhaltene Überlieferung.

Milz nahm an, dass ihr eine Stiftung voausgegangen war oder Grund und Boden erworben wurden, da sie in der Zeit nicht mehr frei verfügbar waren. Den Baubeginn der Kirche setzte er um 1150 an. Ihre Weihe gehört nach der undatierten Weiheurkunde in die Zeit um 1153/54. Seit dem 14. Jahrhundert folgen nur einige Nachrichten über Reparaturarbeiten an den Türmen und dass 1475 ein neuer Chor errichtet wurde.

Im Gegensatz zur Salvatorkirche in Duisburg, deren Baugeschichte durch Ausgrabungen in ihren Grundzügen geklärt wurde, fehlten 1979 vergleichbare Untersuchungen an der Marienkirche. Milz wandte sich deshalb der bildlichen Überlieferung zu.8 Danach kam er zu dem Schluss, dass das Langhaus der Kirche, wie es der Stadtplan von 1566 zeigt (Abb. 5), nicht das ursprüngliche des Gründungsbaus sein kann.

Den Bau von 1802 hielt er für weitgehend mit dem im Stadtplan von 1566 dargestellten Bau identisch. Dafür führte er an, dass 1896 bei Umbauarbeiten an der Nordwand der Kirche eine überlebensgroße Christusfigur aus dem 15. Jahrhundert gefunden wurde, die dort vermutlich in den Wirren der Reformation eingemauert worden war.

Er schloss daraus, dass die Nordwand der Kirche alte Bausubstanz enthält, was auch bei den letzten Instandsetzungsarbeiten 1950 für die Westwand festgestellt werden konnte. 9 In Abbildungen stellte er die erschlossenen Grundrisse des romanischen Baus und der Kirche um 1560 dem Grundriss der Marienkirche um 1802 gegenüber (Abb. 7).

Am Ende seines Aufsatzes brachte Milz zum Ausdruck, was er sich von archäologischen Ausgrabungen an der Marienkirche vor dem jetzigen Turm (Abb. 3) erhoffte, nämlich die Aufdeckung der Fundamente der gotischen und der romanischen Choranlage.

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5 Die Johanniterkommende auf dem Stadtplan von 1566 (Ausschnitt aus Abb. 4). Die Marienkirche mit dem zugehörigen Friedhof und die mehrstöckigen Kommendengebäude sind durch eine Mauer voneinander und von der Stadt getrennt. Die mächtige Außenmauer, die beide umgibt, ist mit der Stadtmauer in einem Zuge errichtet worden und entspricht ihr in ihrer Bauweise und Höhe.
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6 Abbruch der noch erhaltenen Umwehrung der Marienkirche von rund 7 m Höhe, die in diesem Bereich die Stadtmauer bildete, im Jahre 1967. Blick nach Südwesten. Im Hintergrund der Weltkriegsbunker neben der Marienkirche (siehe Abb. 2 und 3).
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7 Grundrisse der Marienkirche. Oben: vermutlicher Grundriss des Gründungsbaus von etwa 1150, Mitte: erschlossener Grundriss der KIrche um 1560; unten: Grundriss der Marienkirche um 1802.

1980 hatten umfangreiche interdisziplinäre archäologische Ausgrabungen in der Duisburger Altstadt begonnen, die unter der Leitung des Verfassers bis 1995 fortgesetzt werden konnten. Sie haben den Wissensstand über das frühe Duisburg stark erweitert.10 Seit 1982 war auch der Jubilar als freier Mitarbeiter und kompetenter Ansprechpartner über viele Jahre ein wichtiger Begleiter dieser Ausgrabungen, auch an der Marienkirche.

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8 Marienkirche. Lageplan der Grabungsflächen 1987-1988. Markierung: ungefährer Fundort der Pilgermuschel im Gasleitungsrohrgraben von 1993.

Seit 1980 hatten umfangreiche interdisziplinäre archäologische Ausgrabungen in der Duisburger Altstadt begonnen, die unter der Leitung des Verfassers bis 1995 fortgesetzt werden konnten. Sie haben den Wissensstand über das frühe Duisburg stark erweitert.10 1982 war auch der Jubilar als freier Mitarbeiter und kompetenter Ansprechpartner über viele Jahre ein wichtiger Begleiter dieser Ausgrabungen, auch an der Marienkirche.

Von seinem Wissen, seiner Erfahrung und Mitarbeit haben der Verfasser und die Duisburger Untersuchungen stark profitiert. Das 800jährige Jubiläum der Pfarrerhebung der Marienkirche im Jahr 1987 war Anlass für umfangreichere archäologische Untersuchungen an der Kirche im Rahmen der Duisburger Altstadtgrabungen. Sie fanden die volle Unterstützung durch den Gemeindepfarrer Lorenz Grimoni und seine Pfarrgemeinde. 

Die Untersuchungen wurden im Auftrag des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege als Teil einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme durchgeführt. Die örtliche Grabungsleitung lag in den Händen von Ursula Francke. Leiter des Gesamtprojekts war der Verfasser.11 Die Ausgrabungen begannen am 27. März 1987 und dauerten bis zum 2. Februar 1989. 

Sie konzentrierten sich hauptsächlich auf den sich nördlich und östlich an die Kirche anschließenden relativ ungestörten Bereich (Abb. 2 und 8). Die 1979 geäußerten Erwartungen von Milz erfüllten sich dabei weitgehend. Es ergaben sich aber, wie meistens bei solchen Arbeiten, wieder neue Fragen.12

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9 Die heutige Marienkirche mit den Grabungsbefunden von 1987-1989. Grabungsschnitte gerastert. 1: nordöstliche Umfassungsmauer der Marienkirche zur Stadtseite hin; 2: Widerlager für eine Zugbrücke (?) über den Wassergraben des Adelshofes vor 1150, 3: ergänzentes Turmfundament der romanischen Kirche; 4. Grabungsschnitt zur Klärung der Fundamentbeschaffenheit der Südmauer der Kirche.
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10 Keramik aus dem Befestigungsgraben des Vorgängerbaus der Marienkirche. 2, 3, 7-11, 14, 17-19, 21 und 23-25: Keramik aus der Sedimentschicht des ehemals wasserführenden Befestigungsgrabens; 1, 6, 12, 13, 15, 16 und 22: Keramik aus der Grabenverfüllung darüber. 1, 2, 5, 19 und 13: Duisburger Ware; 3, 4, 6 und 14-22: Grauware unbekannter Provenienz; 7, 8, 11 und 12: Keramik vom Köln-Bonner Vorgebirge, davon 8: Hunneschans-Ware mit rötlicher Bemalung und Rollstempeldekor, 11 und 12: Scherben von Reliefbandamphoren, 23-25: Paffrather Ware. 4: Randscherbe eines handgemachten Kumpfes; 1-3, 6 und 14-25: Kochtöpfe; 13: Schüssel. M. 1:3
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11 1 und 2: Pingsdorfer Keramik aus der Baugrube der romanischen Marienkirche; 3-16: Pingsdorfer Keramik aus dem Befestigungsgraben des Vorgängerbaus der Marienkirche; 3-6, 8, 9, 11 und 12 aus der Sedimentschicht des Grabens; 7, 10, 13 und 14 aus der Grabenverfüllung. M. 1:3.

Die wichtigsten Ausgrabungsbefunde sind Fundamentreste der romanischen Kirche der Johanniter mit Resten einer Apsis und des Turmes an deren Nordseite.

Er bindet in die Fundamentreste ein. Weiter fanden sich Überreste des gotischen Chorhauses, weiter Mauerreste eines Vorgängerbaus, wahrscheinlich zu einem Adelssitz gehörig.13 Im Norden der Anlage wurde ein verfüllter Wassergraben von 5–6 m Breite und 2 m Sohlenbreite 14 aufgefunden, der zu diesem Vorgängerbau gehört (Abb. 9).

Weiter kamen die Fundamente der nordöstlichen Begrenzungsmauer des Marienkirchenbezirks zur Stadtseite hin aus Tuff- und Bruchstein zum Vorschein. Sie waren noch 1,4 m hoch erhalten und 0,6 m breit. Auf der Außenseite hatten sie Vorlagen in regelmäßigen Abständen. Die Mauer überschnitt zum Teil den verfüllten Wassergraben (Abb. 9.1). 1852 wurde diese Mauer vor dem Bau der heutigen Umfassungsmauer abgerissen.15

Funde aus der Sedimentschicht des Grabens der Vorgängeranlage und seiner Verfüllung reichen vom späten 9. Jahrhundert bis in die Gründungszeit der Niederlassung der Johanniter um 1150 (Abb. 10 und 11). Die ältesten Funde (Abb. 10.1–12) weisen darauf hin, dass dieser Bereich schon im späten 9./frühen 10. Jahrhundert zum Siedlungsraum von Alt-Duisburg zwischen ehemaliger Ruhrmündung und Dickelsbach gehörte.16

Die jüngsten Funde aus dem Graben (zum Beispiel Abb. 11.3, 9, 10 und 15) und die Funde aus der Baugrube der romanischen Kirche (Abb. 11.1 und 2) gehören in die gleiche Zeit. Danach ist anzunehmen, dass die Grabenverfüllung und der Bau der Kirche direkt aufeinander gefolgt sind.17 

Ein besonderer Fund gelang 1993, als von der Beekstraße her über den Friedhof der Marienkirche eine Gasrohrleitung verlegt wurde. 18

Aus einem gestörten Grab eines Jacobspilgers (Abb. 8 und 12) wurde eine Jacobsmuschel geborgen. Keramikfunde aus der direkten Umgebung lassen sich in das 12. Jahrhundert datieren, was auch für die Jacobsmuschel zutreffen könnte. 

Francke berichtet weiter davon, dass bei Renovierungsarbeiten im Innern der Kirche im aufgehenden Mauerwerk der südlichen Wand unter dem Putz ebenfalls Gussmauerwerk mit Tuffsteinverkleidung angetroffen wurde.19 Ein vom Verfasser veranlasster Schnitt (Abb. 9.4) konnte die Beschaffenheit des Fundaments der Südwand der Kirche klären. Das dort angetroffene aufgehende Ziegelmauerwerk war auf einem Natursteinfundament erbaut worden.

Dies findet in Franckes Bericht keine Erwähnung. Sie zieht die Beschaffenheit der Südwand der Kirche nicht in ihre Überlegungen zu deren Baugeschichte ein, da sie diese keinem Bauwerk zuordnen kann. Es hätte ihr aber auffallen können, dass die einschiffige romanische Saalkirche, die sie aus den aufgedeckten Kirchenfundamenten erschloss,20 nicht in den gotischen Chor hineinpasst, der sich aus den Abbruchresten zu ergeben schien (Abb. 9). 

Die Breite des von Francke angenommenen romanischen Kirchenschiffs von annähernd 7,5 m 21 ist zu groß. Die Südwand dieser romanischen Kirche würde direkt an die Südwand des Chores stoßen und der hier zu erwartende Turm weitgehend freistehen. 

Der gotische Chor muss demnach breiter gewesen sein. Das zeigt auch der Stadtplan von 1566 (Abb. 5). Das Langhaus der Kirche auf dem Stadtplan von 1566 kann nicht das des Gründungsbaus sein, da beide Türme fast ganz einbezogen sind, es sei denn, dass der Stadtplan in diesem Detail der Kirche fehlerhaft ist. Beim romanischen Bau stand der Turm in voller Breite von 4 m frei (Abb. 9.3).

Das Langhaus entspricht im Stadtplan von 1566 der Breite des gotischen Chores. Es ließen sich aber bei den Ausgrabungen vor der Nordwand keine klaren Fundamentreste und auch keine klare Ausbruchgrube einer Mauer finden, wie man sie nach der Darstellung der Kirche auf dem Stadtplan von 1566 hier erwartete.22 Ein Pendant fur diese Mauer müsste es auf der Südseite der Kirche gegeben haben. 

Leider ist der dort angelegte Grabungsschnitt (Abb. 9.4) zu schmal ausgeführt worden, um dies zu klären. Es fragt sich auch, ob die ausgegrabenen Überreste des gotischen Chores wirklich ausreichen, um den Grundriss desselben mit einiger Sicherheit zu bestimmen (Abb. 9).

Hier müssten die Grabungsbefunde an der Originaldokumentation erneut überprüft werden.

Francke nahm an, dass das auf dem Stadtplan von 1566 abgebildete Langhaus der Kirche mit dem gotischen Chor zusammen errichtet wurde. Dabei habe man den größten Teil des aufgehenden Mauerwerks und der Fundamente der romanischen Kirche abgebrochen.

Nur deren Türme sollen erhalten geblieben sein.23 Da sich sowohl in der Nord-, West- und auch der Südwand der bestehenden Kirche alte Bausubstanz erhalten hat, die wahrscheinlich zur Ursprungskirche gehört, ist anzunehmen, dass der Langhausbau der heutigen Kirche in den Längswänden und der Rückwand auch im Aufgehenden Bausubstanz der romanischen Kirche enthält und mit dieser im Umriss identisch ist. 

Dann müsste auch der südliche Flankenturm der Kirche in die Südwand des heutigen Langschiffes eingebunden gewesen sein. Um dieses herauszufinden, braucht man nur den Gesamtplan mit dem Grabungsbefund zur Kirche in der Längsachse zu spiegeln und so zu verdoppeln. Es zeigt sich, dass diese Verdoppelung genau die Breite des Langhauses der heutigen Kirche ausfüllt.

Eine Skizze dazu wurde Milz vom Verfasser zur weiteren Verwendung zugänglich gemacht (Abb. 13). Er war derjenige, der sich am Intensivsten mit der Baugeschichte der Marienkirche beschäftigt hatte und die historischen Quellen am besten kannte. 

Weiter war er auch als Augenzeuge mit den archäologischen Untersuchungen vertraut. 2008 hat er sich erneut ausgiebig mit diesem Thema beschäftigt.24 Nach einer kritischen Übersicht zur Entwicklung des Forschungsstandes seit 1979 entwirft er ein neues Gesamtbild.

Zu Recht bemängelt er bei der Rekonstruktion des romanischen Gründungsbaus durch Francke, dass die Türme viel zu dicht zusammenstehen, wenn man davon ausgeht, dass die Proportionen auf dem Stadtplan von 1566 wenigstens im Groben stimmen, was auch letztere annimmt.

Die Proportionen zwischen Türmen und Zwischenbau haben nach Milz auf diesem Stadtplan (Abb. 5) ein Verhältnis von 1 : 3,57 : 1. Bei Francke ergibt sich eine Relation von 1 : 1,5 : 1.25

Bei dem Grundriss, der sich aus dem obigen Vorschlag des Verfassers ergibt (Abb. 13), konnte Milz eine Relation von 1 : 3,31 : 1 im Verhältnis von Turm : Zwischenbau : Turm bestimmen.

Sie kommt der Darstellung auf dem Stadtplan von 1566 am nächsten.26 Es folgen zum Schluss Überlegungen von Milz zur Bauzeit des Langhauses, wie es auf dem Stadtplan von 1566 abgebildet ist, und zu Zusammenhängen desselben mit der heutigen Kirche.

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12 Jacobsmuschel aus einem gestörten Pilgergrab an der Marienkirche (siehe Abb. 8). Zustand nach der Restaurierung.
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13 Ergänzung der Ausgrabungsergebnisse zu einer Kirche mit Doppelchoranlage (Zeichnung von Joseph Milz nach den Grabungsbefunden und einer Skizze von Günter Krause).

Es folgen zum Schluss Überlegungen von Milz zur Bauzeit des Langhauses, wie es auf dem Stadtplan von 1566 abgebildet ist, und zu Zusammenhängen desselben mit der heutigen Kirche.

Er möchte dessen Entstehung „auf den Fundamenten der romanischen Kirche aufbauend“ ins 16. Jahrhundert datieren und nimmt an, dass es in die neue Kirche übernommen wurde. Die starke Einbeziehung der romanischen Türme in die Seitenfront der Kirche auf dem Stadtplan des Johannes Corputius von 1566, die dem Grabungsbefund widerspricht, hält er für einen verzeihlichen Fehler desselben.27

Hier besteht aber nach Meinung des Verfassers noch weiterer Erkenntnisbedarf. Handelt es sich bei dem Langhaus der heutigen Kirche wirklich um den auf dem Corputiusplan dargestellten Bau?

Oder zeigt dieser ein verbreitertes Langhaus? Man könnte versuchen, dies durch die Erweiterung des Grabenschnitts auf der Südseite zu klären (Abb. 9.4). Steht das Langhaus der heutigen Kirche nur auf den Fundamenten des romanischen Baus oder sind zumindest Teile des aufgehenden Mauerwerks noch romanisch?

Wahrscheinlich romanisches Mauerwerk an der Nord-, West- und Südwand und wohl nicht nur im Fundamentbereich spricht dafür. Unterhaltungsarbeiten an der Fassade der Kirche 2006 und denkmalpflegerische Erhaltungs- und Baumaßnahmen im Kircheninnern in den Sommermonaten 2020 hätten sicherlich Möglichkeiten dazu geboten, dieses zu klären.28

Der jüngste Beitrag von Milz hat 2009 eine wenig ernstzunehmende Antwort gefunden.29 Volker Herrmann, seinerzeit Stadtarchäologie in Duisburg, meint, dass die Gründungskirche der Johanniter in Duisburg eine kleine Saalkirche von mindestens 8 m Länge und 5 m lichter Breite gewesen sei.

Den zeitlichen und inhaltlichen Bezug der Flankentürme zu dieser hält er für offen. Dabei ist der Grabungsbefund eindeutig. Der ausgegrabene Flankenturm bindet in die Nordwand der romanischen Kirche ein (Abb. 9.3) Damit stürzen auch weitere Folgerungen Herrmanns wie ein Kartenhaus zusammen beziehungsweise bleiben im Bereich der Spekulation stecken, wie der bauliche Zusammenhang der Saalkirche mit dem älteren angeblich rechteckigen Adelssitz, 30 zu dem auch noch die Türme gehören sollen und an den dann die Saalkirche östlich angebaut wurde.

Der 1475 fertiggestellte gotische Chor wird zu einer Kirche aus gotischer Zeit und das Langhaus mit den zwei Dächern auf dem Stadtplan von 1566 zu zwei Sälen, deren Außenwände vom älteren adeligen Wehrbau übernommen worden sein könnten und sich auch noch in der modernen Kirche fänden.

Die ältere abgebrochene Mauer des Adelssitzes (Abb. 9, Gebäude vor 1150), wird zur Mauer eines niedrigen Anbaus an das Steingebäude = Langhaus der Kirche. Der eine der beiden angeblichen Säle des Langhauses soll als Hospital, der andere seit 1187 als Pfarrkirche gedient haben.

Die von Milz für den Ursprungsbau vorgeschlagene dreischiffige Anlage und den gotischen Doppelchor (Abb. 13) lehnt er kategorisch ab.31 Es bleibt von Herrmanns Ausführungen der Eindruck eines Flickenteppichs von Argumenten und Bauphasen, die falsch sind oder unbeweisbar bleiben.

Sie führen nicht weiter.32 Nach dem Tode von Joseph Milz im Jahre 2013 bleibt der Verfasser der einzige Augenzeuge der Grabungen an der Marienkirche vor Ort in Duisburg, für die er damals mit die Hauptverantwortung trug. Sie warten weiterhin auf ihre sorgfältige Veröffentlichung, bedürfen aber noch der Ergänzung. Schon Ende der 1980er Jahre waren der Jubilar und der Verfasser der Meinung, dass nur ein Nord-Süd-Grabungsschnitt im Ostteil des Langhauses der Kirche weiteren Aufschluss über die Gliederung des Kirchenschiffs und damit vielleicht auch der Ostfassade der Kirche bringen könnte.

Weiter müssten alle Möglichkeiten, das Mauerwerk in den Wänden der Kirche zu erfassen, genutzt und dieses wissenschaftlich untersucht und dokumentiert werden, um daraus gut begründete Schlüsse auf seine Entstehungszeit ziehen zu können.

Das gilt auch heute noch und bedarf eines langen Atems. Alles andere bleibt reine Spekulation.

1 Milz 1979, S. 21 mit Anm. 2.

2 Binding/Untermann 2001, S. 313-320.

3 Averdunk 1894, S. 79f.

4 Milz 1979, S. 25f.

5 Grimoni 1977. Wie lebendig das Wissen des Johanniterordens um seine Wurzeln ist, zeigt, dass dessen Rheinische Genossenschaft ihren Rittertag 2019 anlässlich des 870jährigen Jahrestages der Gründung der Duisburger Johanniterkomturei in Duisburg abhielt. Siehe dazu Zimmer 2019

6 Milz 1979.

7 Milz 1979, S.21f.

8 Milz 1979, S.22-27.

9 Milz 1979, S.26. Dies bestätigte sich bei vergleichbaren Arbeiten im Innern der Kirche an der West- und Nordwand im August 2020.

10 Krause 2020, S.53-85 und 229-417

11 Siehe hierzu Ruppel 1989, S. 8f. Die Originalunterlagen der Grabungen an der Marienkirche und das Originalfundmaterial sind dem Verfasser nicht mehr zugänglich, so dass er sich bei den folgenden Ausführungen in Teilen auf sein Gedächtnis verlassen musste.

12 Bisher ist nur ein Vorbericht zu den Grabungen erschienen: Francke 1989. Wissenschaftliche Mitarbeiter einer weiteren Arbeitsbeschaffungsmaßnahme begannen 1991 mit der Aufarbeitung dieser Grabungen, sie konnte aber nicht zu Ende durchgeführt werden. Nur die Keramikfunde aus dem Graben und der Baugrube der romanischen Kirche (Francke 1989, S. 112-114 mit Abb. 105-107 wurden neu aufgenommen und beschrieben Inv.-Nr.89.42 plus laufende Nr.). Es sind insgesamt 106 Fundstücke. 58 davon haben einen Schichtenbezug, 37 davon kommen aus der Sedimentschicht des Grabens, 21 Stück aus den Auffüllschichten desselben. Die Arbeiten wurden von Ralf Krombholz, unterstützt von Wulf Holtmann, durchgeführt. Die Keramik soll hier nur kurz angesprochen werden.

13 Francke 1989, S. 102–108, 110–112 mit Abb. 97–101.

14 Francke 1989, S. 111. Leider fehlen Angaben zur Tiefe des Grabens. Sie müssten sich in den Grabungsunterlagen finden.

15 Francke 1989, S. 104.

16 Zu diesem Fundmaterial aus der Duisburger Altstadt und seiner Datierung siehe Krause 2020, S. 324–380 und S. 384, Abb. 420.

17 Anders Francke 1989, S. 114.

18 Der Gasleitungsgraben hatte eine Länge von ca. 30 m bei einer Breite von 0,8 m und einer Tiefe von 0,8–1 m. Er wurde vom 16.–28. November 1993 ausschachtungsbegleitend archäologisch untersucht. Funde, Fundzettelbuch 395, Inv.-Nr. 93:45. Dokumentation unter Ortsaktenkennziffer 5.01.12 Marienkirche-Joseph–Kieferstraße.

19 Francke 1989, S. 104. Sie war auch nicht dazu zu bewegen, die Grabungsbefunde in einen Gesamtplan der Kirche einzutragen, was, um weiterzukommen, erst später durch den Verfasser geschah (hier Abb. 9).

20 Francke 1989, S. 102, Abb. 97a, Rekonstruktionsversuch der romanischen Kirche um 1150.

21 Francke 1989, S. 104.

22 Siehe hierzu Francke 1989, S. 108. Sie meint, dass sich Fundamentreste des auf dem Stadtplan von 1566 dargestellten Langhauses in der Nordwand der Gruft 2 (Abb. 9) erhalten hätten, da sie in diesem Bereich mit 40 cm breiter als die in Ziegelbreite gemauerten anderen Grüfte sei. Die Mauer des Langhauses ist aber im Fundament so breit, dass sie die halbe Gruft zudecken würde. Sie muss wohl älter als die Langhausmauer sein und hat mit dem Langhausfundament nichts zu tun(?).

23 Francke 1989, S. 108.

24 Milz 2008, S. 91 f. und 105–114 mit Abb. 19–22.

25 Milz 2008, S. 107 f.

26 Milz 2008, S. 109 f.

27 Milz 2008, S. 111–114.

28 Der Verfasser hat die Untere Denkmalbehörde in Duisburg 2006 darauf aufmerksam gemacht und im letzten Jahr auch die Kirchengemeinde, aber keine Reaktion erhalten. Jüngst wurde von der Aufdeckung eines Kellers des 11./12. Jahrhundert auf dem Gelände der Johanniterkommende hinter dem Gemeindehaus berichtet (Zimmer 2019, S. 40 f.).

29 Siehe Herrmann 2009, S. 44–46. Es geht hier wohl mehr darum, sich mit einem wichtigen Duisburger Monument in Verbindung zu bringen als ernsthaft zu seiner weiteren Erforschung beizutragen.

30 Zur überwiegend frei erfundenen Rekonstruktion der romanischen Johanniterkirche und Kommende im 12. Jahrhundert siehe Herrmann 2009, S. 45, Abb. 41 und die Google Earth Darstellungen unter www. RuhrZeiten.de.

31 Herrmann 2009, S. 45, Anm. 170 und 174. Er meint auch, auf dem Corputiusplan einen nach Norden verschobenen Chor erahnen zu können. Einen solchen kann der Verfasser dort nicht erkennen, vielmehr einen Chor, der wahrscheinlich die ganze Breite der Kirche einnahm. Der auf der Nordseite der Kirche liegende Grabungsbefund mit romanischer Apsis und Überresten des gotischen Chors ergibt sich nicht aus einer Verschiebung derselben aus der Kirchenachse nach Norden, sondern daraus, dass dieser Befund unvollständig ist. Die Südseite der Kirche ist überbaut und kann nicht mehr archäologisch untersucht werden.

32 Milz weist gut begründet darauf hin, dass es sich bei den Johannitern nicht um irgendeinen unbedeutenden Orden handelt. Er geht deshalb mit Recht davon aus, dass sie bei ihrer ersten deutschen Niederlassung eine Kirche errichtet haben werden, der „eine gewisse Ansehnlichkeit nicht abgesprochen werden konnte“
(Milz 2008, S. 107).

Literaturverzeichnis:

Binding, Günther/Untermann, Matthias: Kleine Kunstgeschichte der mittelalterlichen Ordensbaukunst in Deutschland. 3., ergänzte Auflage, Darmstadt 2001

Francke, Ursula: Die Marienkirche – Johanniterniederlassung und Adelssitz; in: Ruppel 1989, S. 101–115.

Grimoni, Lorenz: 175 Jahre Marienkirche. 1802–1977. Festschrift 175 Jahre Marienkirche. Duisburg 1977.

Herrmann, Volker: Neues zum Mittelalter an Rhein und Ruhr (Archäologie und Denkmalpflege in Duisburg 9). Duisburg 2009.

Krause, Günter: Archäologische Zeugnisse zur frühen Geschichte Duisburgs (Quellenschriften zur westdeutschen Vor- und Frühgeschichte 11). Duisburg 2020.

Milz, Joseph: Untersuchungen zur Baugeschichte der Marienkirche in Duisburg; in: Duisburger Forschungen 27, 1979, S. 21–27.

Milz, Joseph: Neue Erkenntnisse zur Geschichte Duisburgs (Duisburger Forschungen 55). Duisburg 2008.

Ruppel, Thomas (Red.): Beiträge zur Duisburger Stadtarchäologie. Zwei Jahre Modellprojekt „Stadtgeschichte“. Duisburg 1989.

Zimmer, Jörg: Die Johanniter in Duisburg. Spurensuche an der ältesten deutschen Niederlassung. Duisburg 2019.

Abbildungsnachweis:

Abbildung 1: nach tim-online.nrw.de, digitale topografische Karte

Abbildung 2: Ausschnitt aus Blatt Duisburg Mitte, nach Sonderdruck aus Rheinischer Städteatlas, Lieferung iv, Nr.21. duisburg. Köln 1981

Abbildung 3: Daniel Kubbat, SkyRobot, Heinsberg-Randerath

Abbildung 4 und 5: Rheinischer Städteatlas, Lieferung IV, Nr. 21: Duisburg, 2. Auflage, Köln 1985, Taf. 7

Abbildung 6: Stadtarchiv Duisburg

Abbildung 7: nach Milz 1979, Abb. 7–9

Abbildung 8: nach Francke 1989, S. 103, Abb. 98 mit Ergänzungen des Verfassers

Abbildung 9: nach Francke 1989, S. 105, Abb. 99 mit Ergänzungen des Verfassers

Abbildung 10 und 11: Günter Krause

Abbildung 12: Kultur-und Stadthistorisches Museum Duisburg

Abbildung 13: nach Milz 2008, Abb. 22

Krause, Günter: Bemerkungen zur Baugeschichte der Marienkirche in Duisburg; in: Diener, Andreas/Kleiner, Marlene/Lagemann, Charlotte/Syrer, Christa (Hrsg.): Entwerfen und Verwerfen. Planwechsel in Kunst und Architektur des MIttelalters und der Frühen Neuzeit. Festschrift für Matthias Untermann zum 65. Geburtstag. Heidelberg: arthistoricum.net 2022, S.71-84 (https://doi.org/10.11588/arthistoricum.885.c11571).

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