Römische Anker
Römische Anker aus dem Rhein bei Duisburg als Zeugnisse römischer Schmiedekunst und Schifffahrt
von Günter Krause, Duisburg
lm Jahre 1978 stiftete der Nestor der niederrheinischen Vor- und Frühgeschichtsforschung, Prof. Dr. Rudolf Stampfuß, dem damals neu gegründeten
Museum der Deutschen Binnenschifffart in Duisburg-Ruhrort acht eiserne Anker vom unteren Niederrhein. Sie waren im Laufe der Jahre bei Baggerarbeiten und Auskiesungen zum Vorschein gekommen und von ihm sichergestellt worden. Der Berichterstatter war damals für die Übergabe der Schenkung an das Museum zuständig.
Besonderheiten der Anker
Dabei wurde sein Interesse besonders auf zwei eiserne Anker gleicher Form aus Xanten von 1,95 bzw.2,2o m Länge gelenkt (Abb. 1). lhr Schaft hat einen rechteckigen Querschnitt. lm Gegensatz zu den anderen Ankern sind die Enden der Arme (Flunken) nicht blattförmig ausgearbeitet. Bei einem der Anker ist noch ein Stück des herausnehmbaren eisernen Stockes erhalten (Abb. 2).
Durch Vergleiche aus der Literatur ließ sich alsbald feststellen, dass diese Anker in die römische Epoche gehören mussten (Abb. 3). Sie stammen vermutlich von römischen Schiffen und sind im Hafenbereich der römischen Colonia Ulpia Traiana verloren gegangen. Ein Anker des gleichen Typs fand sich auch auf einem Großdiapositiv aus dem alten Heimatmuseums im Duisburger Rathaus abgebildet (Abb. 4), mit der falschen Beschriftung ,,normannischer Anker aus dem Nordhafen in Duisburg“, ein weiterer von 1,60 Metern Länge war 1959 in der Marxschen Kiesbaggerei in Duisburg-Rheinhausen entdeckt worden (Abb. 5 – 6). Noch im folgenden Jahre wurden die neu erkannten römischen Anker aus Duisburg und Xanten in ,,Ausgrabungen im Rheinland 1978″ kurz vorgestellt (Krause 1979).
Zu den eisernen Ankern
Diese eisernen Anker gehören zu einer großen Gruppe von Ankern, die in vielen Teilen der römischen Welt gefunden werden
(Bockius). Sie bilden den ersten bekannten eisernen Ankertyp. Er besteht aus einem langen Schaft mit einem beweglichen Ankerstock und Armen mit meißelförmigen Enden (Flunken, Abb. 3b). Der bewegliche, d. h. abnehmbare Ankerstock ermöglichte eine platzsparende Aufbewahrung an Bord des Schiffes, das mehrere Anker führte. Am oberen Ende des Stocks befindet sich eine Öse für den Ring, an den das Ankertau angeschlagen wurde, am unteren Ende unter dem Ankerkreuz eine weitere, an dem die Leine für eine Boje befestigt wurde, um die Lage des Ankers an der Wasseroberfläche zu kennzeichnen oder auch ein Tau, um den Anker zu bergen, wenn er sich zu stark am Grunde verhakt hatte, um ihn mit der Ankertrosse einzuholen. Die frühesten Beispiele für diesen
eisernen Ankertyp stammen wohl schon aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert (Bockius 100 ff. mit Abb. 5A, Abb. 6 – 7).
Hölzerne Anker mit einem Ankerstock aus Blei
Neben dieser eisernen AnkerJorm waren etwa seit der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. hölzerne Anker mit metallenen Verbindungsteilen, eiserner Bewehrung der Flunken und einem Ankerstock aus Blei in der antiken Welt über rund 800 Jahre im Gebrauch (Abb. 3a). Sie lösten ältere steinerne Anker ab. Von solchen Ankern haben sich in der Regel nur die Metallteile erhalten, von denen der Ankerstock am auffälligsten ist. Ein solcher Ankerstock wurde im November 1968 bei Stromkilometer 782,5 zwischen Duisburg und Homberg ausgebaggert (Abb. 7 – 8). Der Ankerstock ist aus Blei gegossen, hat eine Länge von 1,36 Metern und ein Gewicht von rund 150 Kilo. ln der Öffnung der Ankerstockmitte fand sich ein Rest des hölzernen Ankerschaftes aus Eiche. Er trägt die eingeschlagene Inschrift L V. Sie lässt sich als Eigentumsmarke der römischen Legion V Alaudae deuten (Abb. 8), die etwa zwischen 16 und 70 n. Chr. in Xanten stationiert war (Piepers). lm Gegensatz zu den weitaus zahlreicheren eisernen römischen Ankern aus Deutschland (Bockius) sind Ankerstöcke aus Blei seltener erhalten.
Mit den beiden eisernen Ankern und dem 1968 gefundenen Bleiankerstock sind auf Duisburger Stadtgebiet die wichtigsten antiken Ankertypen vertreten. Sie stehen ganz am Anfang der Entwicklung des Stockankers, der bis ins 19. Jahrhundert der gebräuchlichste Ankertyp geblieben ist. Diese Ankerfunde sind wichtige Zeugnisse für die römische Militär- und Handelsschifffahrt (zu den Schiffstypen und Schiffsgrößen siehe Bockius 107 tt.). Vom Niederrhein sind wahrscheinlich bisher mehr als zehn eiserne römische Anker bekannt geworden. Die Dunkelziffer der nicht als römisch erkannten eisernen Anker (in Privatbesitz) dürfte aber noch höher liegen. Aus dem übrigen Deutschland kennen wir bisher nur drei Stücke vom Mittelrhein. Weitere Metallteile von hölzernen Ankern mit Bleiankerstock, darunter ein weiter Ankerstock, stammen aus dem Xantener Raum (Piepers, Schalles).
Kartierung der Anker
Kartiert man die Ankerfunde auf Duisburger Gebiet (Abb. 9, 2 – 3), so wird klar, dass der Anker aus der Marxschen Kiesbaggerei aus dem Uferbereich des römischen Kleinkastells in Duisburg- Rheinhausen-Werthausen (etwa 85 n. Chr. bis Mitte 3. Jahrhundert) stammt. Vermutlich ist er hier von einem Versorgungsschiff der römischen Kriegsflotte in Germanien, der ,,Classis Germanica“, die seit der Mitte des 1. Jahrhunderts im Flottenkastell Alteburg im heutigen Köln stationiert war, verloren worden. Auch der Fundort des nur noch im Bild erhaltenen eisernen römischen Ankers aus der Sammlung des Duisburger Altertumsvereins ließ sich in der Zwischenzeit genauer bestimmen. Er wurde 1896 beim Bau des Parallelhafens mit zahlreichen römischen Scherben des 2. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. geborgen (Averdunk). Die genaue Stelle ist aber nicht bekannt. Sie muss jedoch im Bereich des Rheinlaufes des späten 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. gelegen haben, an dem sich auch das Lager Werthausen befand. Dieser Rheinlauf lässt sich in seinem Verlauf ziemlich genau ermitteln (Abb. 9; Krause 2000). Der Ankerstock aus Blei wurde nördlich der Fundpunkte der beiden eisernen Anker aus dem Rhein ausgebaggert, wenig außerhalb des in (Abb. 9) kartierten Bereiches.
Zur damaligen Zeit befand sich in Duisburg ein wichtiger Rheinübergang. Er war durch einen römischen Brückenkopf auf dem auf heutigen Burgplatz in Duisburg gesichtert (Abb. 9, 1a). Von hier aus kontrollierte man auch die Ruhrmündung und die Wegeverbindungen ins Hinterland. Das rechts rheinische Vorgelände der Provinz Niedergermanien wurde überdies vom römischen Militär wirtschaftlich genutzt. Es betrieb dort Landwirtschaft zur Selbstverorgung und beutete Rohstoffe wie z. B. Ton, Eisenerz, Nolz und Steine aus und verarbeitete sie. Sie ließen sich leicht mit dem Schiff über den Unterlauf der Ruhr und den Rhein in die römischen Zentren verbringen.
Technische Eigenschaften des eisernen Ankers aus der ehemaligen Marxschen Kiesbaggerei
Ergebnisse der metallografischen Untersuchung
Als 1958 in der Marxschen Kiesbaggerei in Duisburg-Rheinhausen der oben genannte eiserne römische Anker gefunden wurde, war es noch unklar, aus welcher Zeit dieser Anker stammt. Man gab sich aber große Mühe, etwas über das Alter des Ankers, seinen Werkstoff und seine technischen Eigenschaften herauszubekommen.
Das Stadtarchiv Rheinhausen, vertreten durch den überaus kenntnisreichen und interessierten Stadtarchivar F. A. Meyer, dem wir eine zweibändige Stadtgeschichte Rheinhausens verdanken, wandte sich an den damals besten deutschen Fachmann aus dem Verband deutscher Eisenhüttenleute, Dipl. lng. W. Gilles in Aachen. Die Prüfungsanstalten der Hüttenwerke Rheinhausen entnahmen Materialproben aus dem Anker und untersuchten sie. Man kam aber zu keiner genauen zeitlichen Einordnung, da offensichtlich der Anker damals noch nicht von anhaftenden Belägen befreit worden war (siehe Abb. 6 links) und somit in seinem Umriss nicht klar erkennbar. Da es sich um den einzigen, dem Verfasser bekannten metallografisch untersuchten eisernen römischen Anker handelt, sollen die überaus interessanten Ergebnisse dieser Untersuchung hier kurz vorgestellt werden.
Der Anker ist kurz nach seiner Auffindung mehrfach bei den Hüttenwerken Rheinhausen auf seine Zusammensetzung untersucht worden. Die erste Analyse von Spänen (Bohr- und Feilproben), die anscheinend aus dem Ankerschaft entnommen wurden, ergab, dass der Anker aus weichem Stahl mit der folgenden chemischen Zusammensetzung besteht: Kohlenstoffgehalt 0,16, Silizium: Spur, Phosphor: 0,076%, Schwefel: 0,006%. Die äußere starke braunrote Schicht bestand aus Eisenoxyd (Rost). W. Gilles äußerte sich folgendermaßen zur Metallanalyse: Wahrscheinlich im Rennfeuerofen bzw. Frischfeuer mit Holzkohle hergestelltes Material (nach dem niedrigen Schwefelgehalt). Der niedrige Phosphorgehalt weise auf kein Raseneisenerz, sondern auf Pannen-Erze.
Vermutlich höherwertiges Eisen
Auf Anregung von W. Gilles wurde einer der Arme des Ankers durchschnitten, um der Versuchsanstalt der Hüttenwerke Rheinhausen eine weitere Proben zur gründlichen Untersuchung zur Verfügung zu stellen. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist bemerkenswert: Ein Probestück von 40x25x25mm Größe mit einem außerordentlich starken Rostbelag an vier Seiten war das Ausgangsmaterial. Zwei gegenüberliegende Seiten waren metallisch blank. Da nach einer Ätzung der angelieferten Probe beobachtet wurde, dass es sich nicht um einen einheitlichen Werkstoff handelte, sondern um ein aus harten und weichen Gefügebestandteilen zusammengesetztes Material, wurden aus den harten Bereichen nochmals Bohrspäne zur Bestimmung des Kohlenstoff- und Mangangehalts entnommen. Dabei wurde ein Kohlenstoffgehalt von O,72% ermittelt, während wiederum nur Spuren von Mangan festgestellt wurden. Nach der Sekundärätzung wurden in der Schlifffläche der Probe zwei verschiedene Gefügearten beobachtet. Während ein Teil der Probe ein ferritisch-perlitisches Gefüge erkennen ließ, zeigten andere Bereiche ein sorbitisch-perlitisches Aussehen. Härtemessungen ergaben in dem ferritischperlitischen Teil eine Härte von 95 HV entsprechend einer errechneten Zugfestigkeit von 33kg/mm2, gegenüber einer Härte von 225 HV in den sorbitisch-perlitischen Bereichen, entsprechend einer errechneten Zugfestigkeit von etwa 77 kg/mm2.
Hoher Stand der Schmiedetechnik und gezielte Materialauswahl
Offensichtlich wurden für die Arme des Ankers weiche, d.h. kohlenstoffarme und harte = kohlenstoffreiche Stähle miteinander durch Schmieden verbunden, um die Eigenschaften des Ankers zu optimieren. Hartes zugfestes, aber sprödes und damit bei hoher Belastung bruchgefährdetes kohlenstoffreiches Material wurde mit dem weicheren biegsameren kohlenstoffarmen verbunden, um beide Eigenschaften miteinander zu verbinden. Dies ist ein gutes Beispiel für den hohen Stand der Eisenverarbeitung und Schmiedetechnik bereits in römischer Zeit. Es ist davon auszugehen, dass auch andere eiserne römische Anker ähnliche Eigenschaften besitzen. Ohne wirklich die chemische Zusammensetzung der Ausgangsmaterialien zu kennen, die erst im Laufe des 19. Jahrhunderts erforscht wurde, hatte man gelernt, harte und weiche Stähle herzustellen und deren unterschiedliche Eigenschaften gezielt im Verbund einzusetzen und zu nutzen.
Die oben aufgeführten eisernen Anker aus Xanten und der Ankerstock aus Blei aus dem Rhein zwischen Homberg und Ruhrort befinden sich in der Schausammlung des Museums der Deutschen Binnenschiffiahrt in Duisburg-Ruhrort, der eiserne Anker aus der Marxschen Kiesbaggerei in dessen Magazin.
Literatur
Averdunk: Heinrich Averdunk, Führer durch die
Sammlung des Duisburger Altertumsvereins. lm
Auftrag des Vorstands herausgegeben. Duisburg
1902, S. 47 Anm. 1.
Bockius: Ronald Bockius, Ein römischer
Stockanker aus Trajans Donaukanal beim eisernen Tor, Serbien. ln: Archäologisches Korrespondenzblatt 30, 2000, 97 – 116 mit weit. Lit.
Gelsdorf: Friedrich Gelsdorf, Revision einer
Rekonstruktion, Der römische Anker in der
Schausammlung des Rheinischen Landesmuseums
Bonn. ln: Das Rheinische Landesmuseum
Bonn. Berichte aus der Arbeit des
Museums 5, 1989, 65 – 69.
Horn: Heinz Günter Horn (Hrsg.), Die Römer in
Nordrhein-Westfalen, Stuttgart 1987, 567.
Krause 1 979: Römische Anker aus Xanten und
Duisburg. In: Ausgrabungen im Rheinland 1978,
Rheinisches Landesmuseum Bonn, Sonderheft
Januar 1979, 172 – 173.
Krause 2000: Günter Krause, Duisburg und der
Rhein. Ein Beitrag zum Umgang mit Geschichte.
In: Jahrbuch 2000/2001 der linksrheinischen
Ortsteile der Stadt Duisburg. Hrsg. Vom ,,Freundeskreis
Lebendige Grafschaft e. V.“, 10 – 20.
Piepers: Wilhelm Piepers, Teile römischer
Schiffsanker vom Niederrhein: In Bonner Jahrbücher
174, 1974, 561 – 566.
Schalles: Hans-Joachim Schalles, Römische
Anker, ein Neufund vom unteren Niederrhein. ln:
Archäologie im Bheinland 1988, Köln 1989, BB f.